Aktuellen Debatte zum Medienänderungsstaatsvertrag
15. Dezember 2020

Pähle: In diesen Zeiten kann man auf vieles verzichten, aber nicht auf einen unabhängigen öffentlichen Rundfunk

In der Aktuellen Debatte des Landtags von Sachsen-Anhalt zum Medienänderungsstaatsvertrag erklärte die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle:

Wir diskutieren heute über einen außergewöhnlichen Vorgang, wie es ihn selbst in den turbulenten viereinhalb Jahren dieser Koalition noch nicht gegeben hat: Der Ministerpräsident hat einen Gesetzentwurf zurückgezogen, weil es dafür im Landtag keine Mehrheit der Koalition gab – einen Gesetzentwurf, der im Kabinett einstimmig beschlossen worden war.

Ich will an dieser Stelle für die SPD-Fraktion noch einmal zwei Dinge betonen: Erstens: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht strukturelle Reformen, auch – aber nicht nur – um den Rundfunkbeitrag in vertretbaren Grenzen zu halten. Zweitens: Die Verweigerung einer Ratifizierung des Medienänderungsstaatsvertrags ist ein absolut untaugliches Mittel, um einen solchen Reformprozess anzustoßen. Und damit ist sie auch das falsche Mittel, um das im Koalitionsvertrag beschriebene Ziel der Beitragsstabilität zu erreichen.

Warum ist das so? Weil die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten ihre Berechnungen nicht auf der Grundlage von Wunschlisten der Intendantinnen und Intendanten anstellt, sondern auf Grundlage der in Staatsverträgen – wohlgemerkt: in anderen Staatsverträgen – vereinbarten Senderstrukturen. Diese Verträge, ob es der Staatsvertrag über den MDR ist, der übers ZDF oder welcher auch immer, diese Verträge sind es, die die Kosten verursachen. Der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag, um den es aktuell geht, ist lediglich der, mit dem die Rechnung präsentiert wird.

Alle diese Verträge, daran darf ich vielleicht erinnern, werden seit mehr als 18 Jahren für Sachsen-Anhalt unter Federführung von CDU-Ministerpräsidenten und CDU-Staatsministern verhandelt und wurden auch stets mit der Zustimmung der CDU hier im Landtag beschlossen.

Es liegt auf der Hand, dass es kein sinnvoller Ansatz ist, all diese Leistungen zu bestellen und dann bei der Bezahlung nein zu sagen – oder wie es der Kollege Meister formuliert hat: erst im Geschäft den Einkaufswagen vollpacken und sich dann an der Kasse schreiend auf den Boden werden, das wird nicht funktionieren.

Ich bin in großer Sorge, dass durch die fehlende Ratifizierung des Vertrages durch Sachsen-Anhalt sogar Türen zugeschlagen wurden; Türen, die sich durch den intensiven Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern der Sendeanstalten hier im Landtag und bei anderen Gelegenheiten ein gutes Stück geöffnet hatten. Wie viele andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Runden hatte ich den Eindruck, dass bei den Verantwortlichen der Sendeanstalten das Verständnis wächst für die Kritikpunkte, die hier im Haus – das will ich betonen: fraktionsübergreifend – in den letzten Jahren immer wieder geäußert wurden: die Kritik an der fehlenden Berücksichtigung ostdeutscher Themen und ostdeutscher Interessen, an vermeidbaren Doppel- und Dreifachstrukturen, an Intendantengehältern, deren Höhe keine Akzeptanz mehr findet. All dies sind Punkte, wie wir sie als SPD auch für einen Entschließungsantrag des Landtages vorgeschlagen hatten, der zusammen mit dem Zustimmungsgesetz hätte angenommen werden können.

Nun stehen wir vor der Situation, dass die Politik erst einmal ganz raus ist aus dem Geschehen und dass die Frage vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt wird. Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender vor Gericht obsiegen, wenn womöglich sogar eine Eilentscheidung gegen das Land Sachsen-Anhalt ergeht, dann haben wir zwar ohne Zweifel Klarheit, aber ohne dass es dafür einen politischen Konsens gab. Es ist zu befürchten, dass das Land Sachsen-Anhalt im Kreis der medienpolitischen Entscheider in Deutschland in nächster Zeit ganz kleine Brötchen wird backen müssen und dass Reformdiskussionen, wenn überhaupt, eher von anderen angestoßen werden.

Es ging aber in den Konflikten der vergangenen Wochen nicht nur um Zustimmung oder Ablehnung bei einem von der Regierung ausgehandelten Staatsvertrag. Es ging immer auch um die grundsätzliche Frage, wie man in einer Koalition zusammenarbeitet. Und es ging – und geht natürlich auch künftig – darum, wie man sich in der Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von denen abgrenzt, die gar keinen staatsfernen, unabhängig finanzierten Rundfunk wollen und denen Pressefreiheit auch sonst ein Dorn im Auge ist.

Koalitionen brauchen Verlässlichkeit. Sie beruhen auf der gegenseitigen Zusage, dass sich niemand Mehrheiten außerhalb des Regierungsbündnisses sucht – auch nicht, wenn es um die Auslegung des Koalitionsvertrages geht. Wer mit wechselnden Mehrheiten liebäugelt, der braucht keine Koalition.

Umso mehr verbietet sich die – auch punktuelle – Zusammenarbeit mit einer Partei wie der AfD, die eine ganz andere Agenda verfolgt. Die AfD         lehnt einen unabhängigen Journalismus ab, der auch die Gefahren beleuchtet, die unserer Demokratie von rechts drohen, stempelt auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Medien als „Lügenpresse“ ab und überzieht sie im Netz mit Hetze – und beteiligt sich ohne Skrupel an Demonstrationen, bei denen Journalistinnen und Journalisten bedroht, angepöbelt und attackiert werden.

Es war deshalb von grundlegender Bedeutung für die weitere Arbeit dieser Regierungskoalition bis zum Juni 2021, dass Ministerpräsident Haseloff im Zuge der Ereignisse unmissverständlich klargemacht hat, dass er das Modell einer Minderheitsregierung, die von der AfD abhängt, strikt ausschließt.

Ich habe am Anfang meiner Ausführungen gesagt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht Reformen. Ich will abschließend noch einmal betonen: Was er nicht braucht, ist Einmischung. Jeder Versuch, von staatlicher Seite – ob Exekutive oder Legislative – Einfluss auf die redaktionelle Arbeit zu nehmen oder kritische Berichterstattung zu unterbinden, verbietet sich.

Ob bissige Satire oder Kommentare mit klarem Standpunkt – das sind nicht die Kollateralschäden eines staatsfernen Rundfunks; das ist sein Wesen.

Wer Strukturdiskussionen benutzen will, um bei den Sendern eine gewünschte politische Ausrichtung durchzusetzen, wird scheitern. Denn die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ebenso fest verankert wie die anderen Bestandteile unserer demokratischen Staatsordnung, und das ist gut so.

Und deshalb hoffe ich, dass sich die aktuelle Spiegel-Meldung, wonach es für das CDU-Bundestagswahlprogramm Überlegungen für eine Privatisierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio gibt, als Falschmeldung herausstellt. In diesen Zeiten kann man auf vieles verzichten, aber nicht auf einen unabhängigen öffentlichen Rundfunk.