Holger Hövelmann im Landtag zu Folgen von Corona
8. Mai 2020

„Wichtig ist, dass die Landesregierung Klarheit schafft“

In der Debatte des Landtags von Sachsen-Anhalt zu den sozialen Folgen der Corona-Krise hat sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Holger Hövelmann, mit Anträgen der Linksfraktion zu drei Themen auseinandergesetzt. Seine Rede im Wortlaut:

Grundeinkommen für Soloselbständige und KleinunternehmerInnen

Ich bin hin und her gerissen bei diesem Antrag.

Weil ich einerseits seine Stoßrichtung ganz richtig finde. Die Soforthilfeprogramme der Bundesregierung haben eine Lücke gelassen, die von anderen Leistungen wie der Grundsicherung für Erwerbslose nur teilweise geschlossen werden kann. Das Konzept des Unternehmerlohns, das Minister Armin Willingmann eben angesprochen hat, wäre deutlich unkomplizierter und würde vor allem Leistungen aus einer Hand ermöglichen. Wir haben uns im Vorfeld in der Koalition leider nicht auf einen eigenen Antrag verständigen können, aber wir sollten die Debatte fortführen. Eine pauschale Leistung an Soloselbständige zur Deckung von entgangenen Aufträgen und Honorarausfällen wäre eine unbürokratische Lösung für ein komplexes Problem. Gerade für den Kulturbereich könnten wir damit viel mehr bewirken als mit den bisherigen Programmen.

Das ist die eine Seite. Andererseits denke ich mir:

Viel besser wäre doch, die betroffenen Soloselbständigen kämen endlich wieder an Arbeit und Aufträge. Denn wer sich selbständig gemacht hat, der will ja gar nicht von Transferleistungen leben, sondern mit seiner Kreativität, seiner Dienstleistung, seinen Kochkünsten auf dem Markt bestehen und Geld verdienen. Deshalb wäre es gut, wenn die bestehenden und die heute von den Linken beantragten Überbrückungshilfen nicht mehr lange benötigt würden! Ich bin mir sicher: Den Betroffenen ist jeder selbst verdiente Euro lieber als jede Leistung aus einem staatlichen Programm.

Ich möchte gern etwas intensiver auf den Bereich von Gastronomie und Tourismus eingehen. Wir beobachten hier ein Hin und Her von Entscheidungen und Ankündigungen, in Sachsen-Anhalt und in den anderen Ländern. Von einem abgestimmten und nachvollziehbaren Vorgehen kann wohl nicht gesprochen werden.

Ich stelle fest: Alle in unserem Haus wollen eine Perspektive für unsere Tourismusbranche, und unser Wirtschaftsministerium setzt sich nach Kräften dafür ein. Ich stelle aber auch fest: Im Wettbewerb der Regionen haben die Länder die Nase vorn, in denen die Landesregierungen einen Fahrplan für die Öffnung von Beherbergungsbetrieben aufgestellt haben. Und dafür reicht es auch nicht aus, sich auf das Thema Ferienwohnungen zu beschränken.

Schleswig-Holstein öffnet ab 18. Mai Restaurants, Hotels und Ferienhäuser und lässt wieder alle Touristen ins Land, und sogar Veranstaltungen bis zu 50 Personen sind möglich. Selbst Fitnessstudios und Kinos dürfen wieder öffnen. Berlin öffnet die Restaurants ab 15. Mai und Hotels ab 25. Mai. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat einen klaren Fahrplan. Ab 18. Mai öffnet die Gastronomie, ab 25. Mai die Hotels. Selbst unsere Nachbarn in Thüringen und Sachsen haben eine klare zeitliche Vorstellung, wie und wann Hotels wieder Gäste beherbergen können. So hat Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee gestern angekündigt, die Hotels am 15. Mai zu öffnen. Den gleichen Termin hat Ministerpräsident Kretschmer für Sachsen verkündet.

Im Harz kommt es zu einer ganz merkwürdigen Situation: Im Westharz können Touristen nächste Woche in die Gastronomie einkehren, und in Sachsen-Anhalt stehen sie vor geschlossenen Lokalen. Wollen wir das?

Deshalb möchte ich mit Nachdruck dafür plädieren, dass unsere Hotels, Pensionen und  Beherbergungsbetriebe eine zeitliche Perspektive erhalten, damit sie wissen, ab wann sie Buchungen entgegen nehmen und Gäste begrüßen können. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt genauso an wie auf eine klare Verlässlichkeit. Und ich spreche mich auch dafür aus, dass die Öffnung von Gastronomiebetrieben nicht auf den Tag nach Himmelfahrt verschoben wird. In Restaurants und Gasthäusern kommt es darauf an, dass Abstandsregeln und Hygienekonzepte eingehalten werden. Das muss am Tag nach Himmelfahrt genauso gewährleistet werden wie an Himmelfahrt selbst oder am Tag davor.

Unsere Tourismusbetriebe und die Gastronomiebetriebe erwarten von uns klare Antworten auf ihre Fragen. Wir sollten in der Lage sein, diese Antworten zu geben! Deshalb kommt es vor allem darauf an, dass die Landesregierung hier Klarheit schafft.

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang auch über Aktivitäten sprechen, die vielleicht nicht morgen stattfinden können, die aber der Planung bedürfen. Auch für Ferienlager und andere Ferienaktivitäten für Kinder brauchen die Träger Klarheit. Und das gilt auch für die Öffnung von Freibädern und bewachten Freigewässern. 90 Prozent der Ertrinkungstoten kamen in den letzten Jahren an unbewachten Freigewässern ums Leben. Eine sichere Möglichkeit des Aufenthaltes an und im Wasser mit Anwesenheit eines Rettungsschwimmers ist allemal besser als die individuelle Suche nach einer Bademöglichkeit an unbewachten Seen und Flüssen.

Versorgung mit Mittagessen für Kinder während der Pandemie sicherstellen

Der Gedanke, die Mittel des Bildungs- und Teilhabepaketes, die sonst in Schulen für die kostenlose Bereitstellung von Mittagessen genutzt werden, auch während Corona-bedingter Schließzeiten für eine Essensversorgung für die betroffenen Kinder zu nutzen, ist gut. Die Idee, das Geld direkt an die Eltern auszuzahlen, ist es nicht. Das entspricht gerade nicht dem Gedanken von Teilhabe für die Kinder, und der Rechtslage entspricht es auch nicht.

Es gibt an verschiedenen Orten Ansätze, um zum Beispiel mit den beteiligten Caterern eine Auslieferung des Essens in die Familien zu vereinbaren. Die Pandemie-Auflagen stehen einer Versorgung mit Mittagessen nicht entgegen. Da wir bis zu den Sommerferien keinen täglichen Schulbetrieb für alle Schülerinnen und Schüler haben werden und auch ein Regelbetrieb für die Kitas noch nicht absehbar ist, lohnt es sich, sich vor Ort für solche Lösungen stark zu machen.

Studierende und Hochschulen in Corona-Zeiten nicht vergessen

Soziale Folgen hat die Krise natürlich auch für viele Studierende. Geschlossene Gaststätten und Kneipen bedeuten auch für sie deutliche Gehaltsausfälle. Der platte Ruf „Studenten auf die Spargelfelder“ hat wenig mit der Realität zu tun und vermittelt ein Bild von Studierenden in der Hängematte, die sonst nur die Hand aufhalten. Das Gegenteil ist der Fall. Viele von ihnen haben vor Corona den Spagat zwischen rigide durchgeplantem Studium und Finanzierung des Lebensunterhalts meistern müssen.

Kredite nützen dieser Zielgruppe in ihrer Not besonders wenig. Die Bundesregierung hätte dafür eine sehr unkomplizierte Lösung finden können, indem sie das BAföG geöffnet hätte. Stattdessen wird es jetzt eine erweiterte Härtefallregelung über die Studierendenwerke geben. Das ist nicht unsere Wunschlösung, aber ich bin froh, dass es jetzt auch eine Möglichkeit jenseits von Krediten gibt. Für alle Studierenden, die kein wohlhabendes Elternhaus im Rücken haben, ist das von großer Bedeutung.

Es braucht aber weitere Unterstützungen für Studierende, und zwar mit Blick auf die Regelstudienzeit. Die Umstellung auf ein weitgehendes Digitalsemester läuft zwar, viele konnten aber vor allem praktische Leistungen nicht erbringen. Man denke hier zum Beispiel an praktische Gruppenarbeiten, an Exkursionen, aber auch an Erhebungen für Abschlussarbeiten. Wir brauchen also eine Anhebung der Regelstudienzeit um ein ganzes Semester. Wenn der Bund hier nicht mehr über das Bundesausbildungsförderungsgesetz tätig wird, sollte das Land eine eigene Lösung finden.

Betroffen sind natürlich nicht nur die Studierenden, sondern auch die Hochschulen selbst. Die Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg hat den finanziellen Mehraufwand im Digitalbereich kürzlich auf 2,5 Millionen Euro beziffert. Das ist kein Pappenstiel und erst recht ein guter Grund, den Hochschulen nicht auch noch durch einen Konsolidierungsbeitrag Gelder zu streichen. Man kann nur hoffen, dass sich hier noch eine Lösung bezüglich der Zielvereinbarungen abzeichnet, die auch ein Signal der Wertschätzung für gute Arbeit in Krisenzeiten an die Hochschulen in unserem Land sendet.

Gern hätten wir heute auch anhand eines Alternativantrags über einen Digitalfonds diskutiert, der Mehrkosten der Hochschulen durch Digitalisierungsmaßnahmen abfedert und sie darin bestärkt, diesen Weg mit so viel Nachdruck und Konsequenz wie möglich zu gehen. Wenn wir nach der Krise wieder durchstarten wollen, wird es nicht zuletzt die Innovationskraft der Universitäten und Hochschulen und die Tatkraft ihrer Absolventinnen und Absolventen sein, die unser Land nach vorn bringen.