Aktuelle Debatte "Regierungsbildung in Berlin"
8. März 2018

Pähle: Diese Bundesregierung wird den Osten Deutschlands ein ordentliches Stück voranbringen

In einer Aktuellen Debatte diskutiert der Landtag von Sachsen-Anhalt heute über – so formuliert es die antragstellende Linksfraktion – die angebliche „strukturelle Missachtung des Ostens im GroKo-Vertrag“. In der Debatte stellte die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle klar, dass von einer solchen Missachtung keine Rede sein könne: „Das Gegenteil ist richtig.“ Sie wies beispielhaft auf Fortschritte bei der frühkindlichen Bildung, der Kooperation in der Schulpolitik, der Förderung von Wissenschaft und Forschung in der Arbeitsmarktpolitik sowie beim Strukturwandel in Folge der Energiewende hin, die Ostdeutschland besonders zugutekämen.

 

Die Rede im Wortlaut:

Als die Linksfraktion das Thema dieser Aktuellen Debatte auf die Tagesordnung setzte, war noch unklar, ob es eine neue große Koalition geben würde. Mittlerweile haben die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands entschieden, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen, und damit wird Deutschland am kommenden Mittwoch – 171 Tage nach der Bundestagswahl – wieder eine parlamentarisch legitimierte Bundesregierung bekommen.

Niemand ist der Meinung, dass das eine ideale Regierungskonstellation für unser Land ist.

Erstrebenswert ist im Grundsatz immer, dass eine der großen Parteien entweder alleine regieren kann oder sich mit einem oder mehreren kleineren Partnern auf ein gemeinsames Regierungsprogramm verständigt, für das es im Deutschen Bundestag eine Mehrheit gibt. Das ist schon allein deshalb wünschenswert, damit die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme eine echte Entscheidung über die Richtung der Politik treffen können.

Und deshalb war meine Partei auch am Abend der Wahl der Auffassung, dass es die Aufgabe der CDU ist, eine gemeinsame Regierung mit CSU, FDP und Grünen zu bilden. Diese Regierungsbildung aber ist an einer Verweigerungshaltung gescheitert, die sich nur so zusammenfassen lässt: erst ich – dann lange nichts – dann die Partei und erst dann das Land.

Die Sozialdemokratie übernimmt in dieser Situation Verantwortung. Wir haben uns mit dieser Entscheidung schwer getan, weil wir wussten, dass wir zum wiederholten Mal Kompromisse schließen müssen, die an manchen Stellen mit sozialdemokratischer Programmatik kaum zu vereinbaren sind.

Aber auf der anderen Seite wiegen die Argumente schwer, weshalb diese Regierung notwendig ist:

Diese Bundesregierung hat den Auftrag, dafür zu sorgen, dass Deutschland Motor der europäischen Integration bleibt. Das Wahlergebnis in Italien hat jüngst gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land der EU unser Gewicht eindeutig für die europäische Zusammenarbeit und für die Fortentwicklung und Demokratisierung der EU in die Waagschale werfen. Dafür steht der Koalitionsvertrag.

Diese Bundesregierung hat die Chance, viele praktische Verbesserungen im Leben von Menschen zu erreichen, vom Breitbandausbau bis zur Grundrente.

Und diese Bundesregierung hat natürlich auch den Auftrag, für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands zu sorgen, und das heißt natürlich auch und vor allem: gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West.

Diesem Auftrag wird der Koalitionsvertrag gerecht. Ich bin ja immer sehr dafür, das Banner ostdeutscher Interessen hochzuhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, aber in diesem Fall investieren Sie Ihre Empörung an der falschen Stelle.

Ich will an einigen Beispielen deutlich machen, warum ich diesen Koalitionsvertrag auch für Ostdeutschland für einen Erfolg halte.

Beispiel frühkindliche Bildung: Die klare Orientierung auf mehr Qualität und auf Gebührenentlastung und die Entscheidung für das entsprechende finanzielle Engagement des Bundes – das gibt Rückenwind auch für die Fortentwicklung von Kinderbetreuung und frühkindlicher Bildung in den ostdeutschen Ländern. Denn wir brauchen mehr und nicht weniger Investitionen in Bildung von Anfang an, auch im Osten – und nicht nur ein „Nachholprogramm“ für den Westen, der in dieser Hinsicht immer noch hinterherhinkt.

Beispiel Schule: Mit der Aufhebung des Kooperationsverbots wird eine falsche Weichenstellung von vor zwölf Jahren korrigiert. Und für niemanden ist das wichtiger als für die Schülerinnen und Schüler in Ostdeutschland. Fast jeder von uns hat doch – oft nicht nur – eine Schule in seinem Wahlkreis, in der die baulichen Verhältnisse und die Ausstattung zum Himmel schreien. Nimmt man die Unterstützung für Ganztagsschulangebote und den „Digitalpakt Schule“ hinzu, muss man feststellen: Auch im Bereich Schule ist der Koalitionsvertrag für den Osten ein echter Fortschritt.

Beispiel Wissenschaft und Forschung: Die Verstetigung der Mittel des Bundes, der Ausbau beim BaföG, die besondere Unterstützung für Ostdeutschland in der Wissenschafts- und Innovationspolitik: All das sind deutliche Pluspunkte für den Osten in diesem Koalitionsvertrag, die ich nicht missen möchte. Aber auch die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung ist für die Betriebe in den ostdeutschen Ländern, die sich mit eigener Forschung und Entwicklung bekanntlich schwer tun, ein echter Durchbruch.

Beispiel Arbeitsmarktpolitik: Der Passiv-Aktiv-Transfer und die Einführung von neuen Instrumenten zur Teilhabe am Arbeitsmarkt, wie wir sie ähnlich in Sachsen-Anhalt schon begonnen haben, sind deutliche Fortschritte in Sachen aktiver Arbeitsmarktpolitik, wie wir sie für Ostdeutschland schon sehr lange fordern. Ich bin sehr froh, dass wir trotz der sehr guten konjunkturellen Entwicklung deutlich machen konnten, dass aktives staatliches Handeln für bestimmte Zielgruppen dennoch gefordert ist, ganz nach dem Motto: Wir wollen niemanden zurücklassen. Und das gesetzliche Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit ist in Regionen, in denen Arbeitgeber besonders gerne Lohnkosten drücken, ein wichtiges Instrument zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein wichtiger Schutz, gerade für Frauen.

Beispiel Energiepolitik: Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine gemeinsame Aufgabe, aber der Osten Deutschlands darf nicht alleine den Preis für den dafür notwendigen Ausstieg aus der Kohleverstromung zahlen. Deshalb ist die Entscheidung, dass der Bund mit seinen Mitteln die Kosten für den Strukturwandel in den betroffenen Regionen absichert, für uns so wichtig.

Schon allein wegen der gerade aufgeführten Punkte weiß ich nicht, wie man zu dem Schluss kommen kann, der Osten werde „strukturell missachtet“. Das Gegenteil ist der Fall.

Wir sollten aber auch nicht blauäugig sein. Natürlich wird es weiter Verteilungskämpfe geben, für die die ostdeutschen Länder sich wappnen müssen. Und es gibt auch einige Themen, bei denen sich heute schon abzeichnet, dass wir dort besonders wachsam und besonders hartnäckig sein müssen:

Das gilt zum Beispiel für die Digitalisierung, bei der auch mir vieles noch zu unbestimmt ist und die Ziele in zu weiter Ferne liegen. Für mich ist es ganz klar: lieber das Breitbandkabel vorm Haus als das Flugtaxi auf dem Dach!

Aufpassen müssen wir auch beim Thema Netzentgelte, wo im Koalitionsvertrag zwar eine allgemeine Zielsetzung bestimmt ist, wo es aber aufs Kleingedruckte ankommen wird.

Das gilt genauso für die Mindestausbildungsvergütung, die ich für einen großen Schritt nach vorn halte, gerade für Ostdeutschland – bei der aber ebenso wie beim Mindestlohn die Höhe ausschlaggebend ist, damit sie wirklich gegen Fachkräftemangel wirkt und jungen Menschen den Einstieg in ein Berufsleben ermöglicht, in dem sie von ihrer Arbeit leben können.

Eine der größten Herausforderungen – allerdings in Ost und West – wird die Entwicklung ländlicher Räume sein. Da bietet der Koalitionsvertrag viele Ansatzpunkte im Detail, aber hier sind wir als Länder insbesondere auch selbst gefordert, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern neue Entwicklungsansätze voranzubringen. Gleichwertige Lebensverhältnisse kann man nicht am grünen Tisch in Berlin konzipieren.

Ganz wichtig ist noch: Es geht nicht nur um Politik für Ostdeutsche, sondern auch von Ostdeutschen. Ich halte es schon für sehr wichtig, dass neben der Bundeskanzlerin auch ein weiteres Regierungsmitglied am Kabinettstisch sitzt, das die besonderen Erfahrungen nicht nur aus der DDR, sondern insbesondere auch aus der Nachwendezeit aus eigenem Erleben kennt. In der letzten Wahlperiode hat Manuela Schwesig diese Rolle mit großem Erfolg eingenommen – das sollte auch jetzt möglich sein.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine grundlegende Bemerkung: Die Bundesregierung, die jetzt gebildet wird, ist in mancherlei Hinsicht eine besondere Regierung. Das ist sie schon allein deshalb, weil sie nur dreieinhalb Jahre im Amt sein kann. In diesen dreieinhalb Jahren kann und wird sie die Entwicklung Ostdeutschlands solide ein ordentliches Stück voranbringen. Sie kann aber in dieser Zeit keine Wunder bewirken.

Schon in überschaubarer Zeit werden also die Karten neu gemischt werden. In dieser Zeit sollten wir nicht nur darüber jammern, was uns noch fehlt, sondern wir sollten auch selbst in den ostdeutschen Ländern, in unserer eigenen Verantwortung an Zukunftsperspektiven für unsere Regionen arbeiten.

Und: Wir sollten mit guter und bürgernaher Politik auch gemeinsam dafür sorgen, dass der Osten Deutschlands ein erhebliches Stück dazu beiträgt, dass es 2021 wieder klare demokratische Mehrheitsverhältnisse gibt. Denn dass im Bundestag Rechtsextremisten, Rassisten und obskure Bürgerkriegstouristen keinen Handschlag für irgendein sinnvolles Ziel tun, schon gar nicht für Ostdeutschland, dafür aber die Regierungsbildung erschweren – wir sollten die Wählerinnen und Wähler davon überzeugen, dass wir alle uns das nicht länger als eine Wahlperiode lang antun.