Regierungserklärung
29. Januar 2016

Katrin Budde: Politik für Sachsen-Anhalt ist Politik für den ländlichen Raum

In der heutigen Aussprache des Landtags über die Regierungserklärung zum Thema „Nachhaltige Politik für eine liebens- und lebenswerte Heimat“ erklärt die SPD-Fraktionsvorsitzende Katrin Budde:

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben Ihrer Regierungserklärung ein Zitat aus dem 19. Jahrhundert vorangestellt.1) Seitdem haben wir, da sind wir uns sicher einig, viel über unsere Umwelt gelernt und darüber, wie Menschen sie beeinflussen und gestalten. Aber mit Verlaub und bei allem Respekt gegenüber verblichenen britischen Konservativen: Was Sie da zitiert haben, war auch im viktorianischen Zeitalter schon falsch.

Selbstverständlich sind Menschen das Produkt ihrer Umwelt. Unser Denken, unsere Wertvorstellungen, unsere Gesundheit, unsere Lebenserwartung – all das und noch viel mehr ist geprägt von Umwelt im umfassenden Sinne: von unserer familiären, sozialen, natürlichen, ökonomischen und politischen Umwelt.

Deshalb sind gleiche Chancen so wichtig für eine nachhaltige Politik: gleiche Chancen für Männer und Frauen, gleiche Chancen für jedes Kind, unabhängig vom Elternhaus – aber eben auch gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Regionen unseres Landes, deren Herstellung das Grundgesetz als Staatsauftrag in Artikel 72 festschreibt.

Politik für Sachsen-Anhalt gestalten heißt, Politik für den ländlichen Raum zu gestalten. Das sage ich gerade als Magdeburgerin ganz bewusst.

Ob Sachsen-Anhalt eine liebens- und lebenswerte Heimat ist – und ob diese Botschaft auch ins Land hinaus getragen werden kann –, das entscheidet sich in den ländlichen Räumen. Und es entscheidet sich bei weitem nicht nur in der Umweltpolitik, sondern auf vielen Politikfeldern.

 
Beispiel Wirtschaftspolitik:

Das Rückgrat des ländlichen Raums und die ökonomische Grundlage bilden neben der Land- und Forstwirtschaft vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Eine neu gestaltete Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ sollte daher auch die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen umfassen und gut mit den Zielen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ abgestimmt sein.

Ganz vorn auf dem staatlichen Auftragszettel für die  Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse steht heute die flächendeckende Breitbandversorgung. Denn wer mit seiner Geschäftsidee online gehen will, für den kommt jeder Standort in Betracht, ob in Sülzetal, in Halle-Neustadt oder in Zabakuck. Nur: Der schnelle Internetzugang muss halt da sein, sonst kommt die Dienstleistung oder das Produkt nicht zum Kunden. Deshalb sagen wir ganz klar: Internetzugang ist Daseinsvorsorge, und wo der Markt versagt, muss der Staat handeln.

Um Wertschöpfungspotentiale in den Regionen zu sichern und wirtschaftliche Prozesse nachhaltig anzuschieben, brauchen wir maßgeblich in den Regionen selbstgestaltete Strategien. Strategien, in denen ökonomische Effizienz, soziale Balance sowie die umweltverträgliche Nutzung und Schonung natürlicher Ressourcen ihren Niederschlag finden.

Kriterien wie Herkunft, Tradition und regionale Identität können zur regionalen Wertschöpfung beitragen. Wir wollen Menschen für regionale Lebensmittel und Produkte sensibilisieren. Wir wollen die Vermarktung regionaler Produkte ausbauen. Neue Potenziale für die regionale Wertschöpfung können beispielsweise im Bereich Veredelung in Kombination mit regionalen Produkten und Marken liegen. Wir wollen eine klare Herkunftskennzeichnung regionaler Lebensmittelprodukte.

 
Beispiel Landwirtschaft:

Eine nachhaltige Land- und Forstbewirtschaftung bildet die Grundlage für lebendige ländliche Räume. Sie sind zunehmend aber auch Rohstoff- und Energielieferanten.

Landwirtschaft ist zuerst Nahrungsmittelproduktion. Gleichzeitig tragen Landwirtinnen und Landwirte als größte Flächennutzer aber auch eine hohe Verantwortung für den Klimaschutz, die Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Bodenfruchtbarkeit sowie für den Umwelt- und Tierschutz. Wir unterstützen die Landwirtschaft darin, ihre Einkommensgrundlage auszubauen, indem die Nahrungsmittelproduktion stärker an den Wünschen qualitäts- und gesundheitsbewusster Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichtet wird.

Wir nehmen die Befürchtungen der Verbraucherinnen und Verbraucher ernst und setzen uns dafür ein, dass in Deutschland keine gentechnisch veränderten Organismen in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt werden.

Boden ist für die Landwirtschaft der wichtigste Produktionsfaktor und damit Voraussetzung für die Erzielung von Wertschöpfung landwirtschaftlicher Unternehmen. Durch eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen wollen wir den Zugang ortsansässiger Landwirte zum Bodenmarkt erhalten, zukünftig sichern und Bodenspekulationen entgegenwirken. Wir halten am Ziel der breit gestreuten Eigentumsverhältnisse fest.

 
Beispiel Bildung:

Wir haben in der zu Ende gehenden Wahlperiode viele Diskussionen um den Erhalt kleiner Grundschulen gehabt. Viel weniger Debatten gab es leider um Qualitätssicherung für die Schulen im ländlichen Raum, um die Frage, wie in allen Regionen flächendeckend alle Abschlüsse erreicht werden können. Das ist aber die zentrale Frage, wenn es um gleichwertige Lebensverhältnisse für die nächste Generation geht.

Deshalb ist es gut, dass sich von unten eine Schulform durchgesetzt hat, die genau das bietet: differenzierte, qualifizierte Abschlüsse gerade auch im ländlichen Raum. Die Erfolgsgeschichte Gemeinschaftsschule werden wir fortschreiben. Deshalb sage ich ganz deutlich: Die SPD wird keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der die Gemeinschaftsschule zur einzigen Regelschule in den Regionen machen würde. Sie wird aber auch keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der in der Schulpolitik die Uhren zurückdrehen und die Gemeinschaftsschule schwächen oder gar abschaffen will.

 
Beispiel Gesundheitsversorgung:

Im kostenintensiven Bereich der Gesundheitsversorgung finden sich besonders leicht Schwarzmaler, die die ländlichen Räume abschreiben wollen. Und es ist ja auch nicht zu verkennen, dass insbesondere die fachärztliche, in manchen Gegenden aber auch die allgemeinmedizinische Versorgung zum Problem vor allem für ältere und immobile Bürgerinnen und Bürger geworden ist.

Das ist aber keine Situation, mit der sich die Selbstverwaltungsorganisationen des Gesundheitswesens und die Politik abfinden dürfen. Und es gibt längst Konzepte, die auch für dünn besiedelte Räume eine hochwertige medizinische Versorgung absichern. Denn es darf nicht nur sozial, sondern auch regional keine Zwei-Klassen-Medizin geben.

Bereits im Studium wollen wir deshalb die künftigen Medizinerinnen und Mediziner gezielt für das Fach Allgemeinmedizin gewinnen. Nach Studienabschluss sollen junge Ärztinnen und Ärzte zudem durch die Anstellung in medizinischen Versorgungszentren die Möglichkeit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben.

Praxisgründungen und Praxisübernahmen von Hausärztinnen und Hausärzten vor allem im ländlichen Bereich sollen stärker gefördert werden. Um die Versorgung in strukturschwachen Regionen unseres Landes sicherzustellen, wollen wir die bereits vorhandenen Krankenhausstrukturen stärker für die ambulante Versorgung nutzen. Zusammen mit den bestehenden medizinischen Versorgungszentren wollen wir sie zu einem Netz regionaler Gesundheitszentren ausbauen.

 
Und natürlich gehört zu den Politikfeldern, die wir im ländlichen Raum beackern müssen, auch die Umweltpolitik, auf die ich nun doch noch eingehen will.

Mit den Beschlüssen der Klimakonferenz in Paris sind wir dem Ziel der Sicherung unserer Lebensgrundlagen für unsere Enkel und Urenkel ein Stück näher gekommen. In Sachsen-Anhalt sind wir mit dem bisherigen  Ausbau der regenerativen Energien auf einem guten Weg. Es gibt – und damit müssen wir uns im Sinne der Nachhaltigkeit auseinandersetzten – durchaus Zielkonflikte beim weiteren Ausbau von Windkraftanlagen, so zum Beispiel beim Vogelschutz.

Hier bedarf es im Sinne einer nachhaltigen Umweltpolitik des gesamtheitlichen Ansatzes sowie der Abwägung konkurrierender Schutzgüter. In diesem Sinne, Herr Minister, müssen Sie den Entwurf des Leitfadens für Artenschutz an Windkraftanlagen unter Beteiligung der anderen Ressorts grundhaft überarbeiten.

Die Bilanz der Landesregierung im Umweltbereich fällt ach unserer Auffassung gemischt aus. Es gibt Bereiche wie den Hochwasserschutz und hier insbesondere auch die Bemühungen zur Schaffung natürlicher Retentionsräume, wo wir viel geschafft haben und auf einem guten Weg sind. Unser Dank gilt hier den engagierten Mitarbeitern des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft, die unermüdlich daran arbeiten, die Versäumnisse von 40 Jahren DDR aufzuholen.

Unsere Großschutzgebiete sind die Juwelen unserer Kulturlandschaft. Der länderübergreifende Nationalpark Harz, die Biosphärenreservate Mittelelbe und Karstlandschaft Südharz sowie die sieben Naturparke liegen uns deshalb besonders am Herzen. Wir sind froh darüber, dass diese fast ein Drittel unserer Landefläche ausmachen. Sie zeigen den besonderen Reichtum an Natur und Landschaft in unserem Bundesland.

Im Koalitionsvertrag hatten wir uns mit der CDU darauf verständigt, dass für das Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz in dieser Wahlperiode die UNESCO-Anerkennung beantragt werden soll und der Drömling als Biosphärenreservat nach Landesrecht ausgewiesen wird. Beide Ziele haben wir verfehlt. Das ist zwar bedauerlich, wir müssen aber anerkennen, dass es nicht an der Landesregierung gelegen hat und dass es offensichtlich einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit bedarf, um die Inhalte und Vorteile von Biosphärenreservaten in den Regionen bekannt zu machen und alle Beteiligten, auch und insbesondere die Landwirte mitzunehmen. In diesem Sinne wollen wir in der kommenden Wahlperiode unsere Aktivitäten verstärken und sowohl für die Karstlandschaft als auch den Drömling die UNESCO-Anerkennung erreichen.   

Der Umweltrahmen ist sehr stark durch europäisches Recht geprägt. Mit der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien tun wir uns auf Landesebene mitunter schwer. So gehört es gewiss nicht zu den Ruhmesblättern, dass wir Natura 2000 immer noch nicht umgesetzt haben. Wir müssen hier in Zukunft deutlich mehr tun! Nicht nur um einem Vertragsverletzungsverfahren mit seinen Konsequenzen zu entgehen, sondern auch und vor allem, um die Vorgaben des Verschlechterungsverbotes in den Natura-2000-Gebieten zu erfüllen.

Dass wir jetzt vor dem Problem stehen, dass die Naturschutzrichtlinie noch nicht in Kraft ist und erst noch zur Notifizierung bei der Kommission eingereicht werden muss, ist hoch problematisch. Die Arbeit im Naturschutz braucht Kontinuität, um die Zielerfüllung nicht zu gefährden. Wir erwarten hier von der Landesregierung zeitnah Aussagen, wie die Finanzierung bis zum Inkrafttreten der Richtlinie überbrückt werden kann, um für das Land bedeutende Projekte am Laufen zu halten.

Seit 1993 wurden etwa 1,3 Milliarden Euro in die Sanierung unserer Altlasten investiert. Die Gesamtkosten werden auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Auch wenn die bisherigen Erfolge sowohl sichtbar als auch messbar sind, so verdeutlicht diese Zahl, dass wir noch eine ganze Menge vor uns haben, ehe die Umweltsünden der Vergangenheit weitestgehend beseitigt sind. Die Arbeit der seit 15 Jahren bestehenden Landesanstalt für Altlastenfreistellung ist ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte, und ich wünsche unserem ehemaligen Kollegen Stadelmann viel Erfolg bei der Bewältigung seiner Aufgaben. Ich möchte aber an dieser Stelle auch die Gelegenheit nutzen, noch einmal Ingrid Häußler zu danken, die als damalige Umweltministerin das für die Errichtung der Landesanstalt notwendige Gesetz gegen viel Kritik der CDU auf den Weg gebracht hat. Auch Konrad Keller möchte ich danken, der als Nachfolger den Vertrag zur Übernahme und Finanzierung der Altlasten mit dem Bund ausgehandelt hat.  

 
Die ländlichen Räume in Sachsen-Anhalt sind

  • Wirtschaftsstandorte,
  • Wohnstandorte,
  • Land- und Forstwirtschaftsstandorte,
  • Erholungsräume und
  • Tourismusstandorte.

Sie sind Heimat für ihre Bewohnerinnen und Bewohner und werden dies in zunehmendem Maße auch für Menschen sein, die als Zuwanderer zu uns kommen. Sie stehen für intakte Nachbarschaften, bürgerschaftliches Engagement und eine starke kulturelle Identität. Sie sind die Basis für unsere Ernährung, für saubere Luft und Wasser, für Energieversorgung und Ressourcenschutz. Ohne den ländlichen Raum kann die Stadt nicht überleben.

Es gibt dabei wirtschaftlich prosperierende Räume, die gute Arbeits- und Lebensbedingungen für ihre Bewohnerinnen und Bewohner bieten. Es gibt aber auch die entlegenen, oftmals schrumpfenden Regionen, die vor erheblichen demografischen und wirtschaftsstrukturellen Herausforderungen stehen.

Nur wenn es uns gelingt, eine angemessene Versorgung sicherzustellen, werden wir die ländlichen Räume auch im Zeichen des demografischen und wirtschaftsstrukturellen Wandel als attraktive Lebens- und Wirtschaftsräume erhalten können. Dabei ist das OB geklärt. Die Aufgabe für uns heißt: WIE schaffen wir das? Die Beantwortung dieser Frage wird über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes entscheiden.



1) „Der Mensch ist nicht das Produkt seiner Umwelt – die Umwelt ist das Produkt des Menschen.“ (Benjamin Disraeli)